Kunst rettet die Welt II

Nowa Amerika – Kongress 2021

Kunst rettet die Welt II Gesellschaft der Künstler Nachhaltige Entwicklung Lokal, global, international

Unsere Herausforderung für den Planeten besteht darin, Sehnsucht in Tun zu verwandeln. Der Weg führt von der Utopie zur Heterotopie. Gesellschaft wird zu einem Labor, in dem Zukunftprobiert wird und Scheitern erlaubt ist.

Nowa Amerika ist eine Amöbe mit Rückgrat, das von den beiden Flüssen Odera und Nyße gebildet wird. Nowa Amerika ist eine Föderation, die sich aus Szczettinstan, Terra Incognita, Lebuser Ziemia und Schlonsk zusammensetzt. Dieser neue Raum im Dazwischen dehnt sich Richtung Ostpol und Westpol aus und die Größe des Raumes wird durch die Herkunft der Akteure bestimmt. Die Hauptstadt ist Słubfurt, die Metropole New Szczettin.
Das höchste Gremium von Nowa Amerika ist der Nowa Amerika Kongres. Er findet einmal jährlich statt. Jede, die sich als Nowo-Amerikanerin fühlt, kann an dem Nowa Amerika Kongres teilnehmen. Jeder Nowo-Amerikaner, der am Nowa Amerika Kongres teilnimmt, hat bei den Abstimmungen eine Stimme. Nowa Amerika ist eine demokratisch regierte europäische Region. Der Nowa Amerika Kongres fällt Entscheidungen, die Rechtsform, Organisationsstruktur und Leitung des Netzwerkes betreffen. Die auf dem Nowa Amerika Kongres gewählten Gremien dienen der Entwicklung von Nowa Amerika und der Koordination des Netzwerkes. Der Kongress ist vor allem aber eine Plattform des Austauschs von Informationen und Ideen. Es werden Projekte generiert und es können jederzeit – auch außerhalb des Kongresses Arbeitsgruppen zu Projektvorhaben, Themen und Ideen entstehen.

Auf dem diesjährigen Nowa Amerika Kongres wollen wir über die erforderlichen Änderungen unserer Gesellschaftsstrukturen im Angesicht von Klimawandel, Finanzkrise und anderen globalen Herausforderungen ins Gespräch kommen. Dabei lassen wir uns von verschiedenen Expert*innen beraten.

Michael Kurzwelly, Karsten Wittke, Joanna Kiliszek

Modul I – 29.10.2021

Künstlergesellschaft:

Michael Kurzwelly

„Es geht darum, alle Individuen als künstlerisch-kreative Wesen zu begreifen, die spielerisch und ernsthaft, humorvoll und täglich Welt neu entdecken, neue Zusammenhänge finden und knüpfen, die sich darin miteinander vernetzen und zu Schöpfern von Gesellschaft werden. Das neue gesellschaftliche System hat nichts mehr mit einer Leistungsgesellschaft zu tun, in der Arbeit und Karriere Motor und Maßstab sind.“

Paweł Althamer

„Vielen Dank für die Einladung, Michael! Unsere Begegnung ist das Ergebnis eines gegenseitigen Vertrauens und einer Freundschaft, die während künstlerischer Spiele entstanden ist, als wären wir Beuys‘ Kinder, die zum Leben erwecken, was passieren würde, wenn jeder von uns das tut, was er will, was ihm gefällt.
(…) Das heutige Thema möchte ich der Nowolipie-Gruppe widmen, in der wir uns seit 26 Jahren einmal pro Woche treffen. (…) Die Möglichkeit, sich ins Unbekannte zu wagen, hat mich gereizt. Das ist ein Element des Mutes, der ein wichtiges Motiv für Künstler ist, denn dieser Mut kommt aus dem Gefühl, frei zu sein, was bedeutet, dass ich wählen kann, was mir gefällt.
(…) Die Essenz unserer Arbeit ist die Gemeinschaft oder das Teilen unserer eigenen, immer schöner werdenden Sensibilität füreinander und für das, was wir schaffen können. (…) Mein Fazit ist eine kultivierte Sorglosigkeit – nicht in Panik zu verfallen und (…) unsere Begegnung zu feiern.“

Gerrit Gohlke

„Eine künstlerische Handlung öffnet das Denken. Ich denke, für Kunst ist es entscheidend, materiell werden zu dürfen. Das ist keine Geringschätzung der Republik, vor der wir stehen – der Gesellschaft, der Künstler, der Gelehrtenrepublik. Das ist nur der Anspruch, den man immer wieder dingfestmachen sollte mit beiden Beinen auf dem Boden stehend. Der Aushandlungsprozess führt am Ende in den politischen Raum hinein, obwohl es einige Schwierigkeiten mit sich bringt – die Sprache der Politik und Verwaltung zu sprechen. So, wie auf diesem Kongress, brauchen wir auch dafür immer wieder einen Übersetzer.
(…) Als der brandenburgische Landwirtschaftsminister sagte, dass jedes Dorf ein Leitbild braucht, hatte er recht.”

Marek Wasilewski

„Ich möchte Ihnen erzählen, was wir in der ‚Stadt‘ Poznan tun. Die Städtische Galerie Arsenal ist eine städtische Galerie, eine kulturelle Selbstverwaltungseinrichtung. (…) Das ist sehr wichtig im Hinblick auf die Programmvoraussetzungen eines solchen Ortes. Es handelt sich um eine Einrichtung, die im Rahmen der Selbstverwaltung der Stadtbewohner eine gewisse Rolle spielt, sie ist Bestandteil eines Netzes von Verbindungen mit anderen kulturellen und sozialen Einrichtungen und mit einer sehr gut entwickelten Bewegung von Nichtregierungsorganisationen. Wir sind ein Teil eines Puzzles. Die Ausstellungen, partizipatorischen Projekte, Begegnungen und Workshops, die wir gemeinsam mit der Öffentlichkeit vorbereiten, suchen nach einer Formel, die das Publikum zu aktiven Teilnehmern macht, die den Verlauf der Ereignisse mitgestalten.”

Modul II – 30.10.2021

Nachhaltige Entwicklung und Ästhetik

Karsten Wittke

„Als Koordinator kommunaler Entwicklungspolitik der Stadt Baruth/Mark sind die 17 Nachhaltigkeitsziele und die Verantwortung global nachhaltigen Handelns nach Vorgaben der Agenda 2030 mein tägliches Brot und Arbeitsauftrag. Es verbleiben noch knapp 8 Jahre, das Ruder in die sich immer schärfer abzeichnende Apokalypse oder auch Dystopie so zu steuern, dass auch unsere Kinder und Kindeskinder weiterhin auf diesem limitierten RAUMSCHIFF ERDE leben oder überleben können. Ich versuche jeden Tag mit einem kleinen Beitrag am schwierigen Rudermanöver mitzuwirken. Dies aber nicht als bildender Künstler, sondern in der Funktion eines Mitarbeiters in einer Kommune im ländlichen Raum Brandenburgs. Der Wermutstropfen: Leider findet sich in der Diskussion und den Aktivitäten der Aufgabenfelder Klimakrise, sauberes Wasser, Gesundheit, Energie und Bildung bisher kein Raum für die Kunst und Kultur als verbindendes und jenseits amtlicher und wirtschaftlicher Notwendigkeiten sich positionierendes Medium der Erkenntnis. Hat „Kunst“ einfach keine relevante Aussage bzw. Position zu existentiellen Fragen und Herausforderungen mehr in der westlichen oder umfassender gefragt globalen Gesellschaft? Die Pandemie hat diesen Eindruck bei mir nur verstärkt, denn wie unwichtig erschien und wirkte in der Diskussion um Systemrelevanz in den Künsten die „Kernaufgabe“ kreativen, künstlerischen Schaffens. Kunst wirkt für mich empfunden marginalisiert und der Aufgabe um einen Inhalt, sei es spiritueller, aufklärerischer oder sinnstiftender „Rettung“ enthoben. Ist es nicht gerade Kunst, die in Krisenzeiten für den lokal/globalen Menschen einen freien Raum für Energie, Mut, Kritik und Respekt, Ruhe, Besinnung und Versenkung als Angebot zur „Rettung der Welt“ zur Verfügung stellt?”

Aleksandra Jach

„Ich bin davon überzeugt, dass es trotz vieler ungünstiger Kräfte im Bereich der Kultureinrichtungen in Polen noch Raum für Veränderungen in Richtung einer grünen Transformation gibt. Ich denke an die erstaunlichen Menschen, die seit Jahren an diesen Orten arbeiten, mit großem Wissen und Kompetenzen, die sich im Bereich der Ökologie weiterentwickeln wollen und werden.”

Claudia Büttner

„Kunst kann nachhaltig und dauerhaft sein, wenn sie unseren Alltag und die Umwelt ästhetisch verändert oder unseren Blick auf etwas Neues richtet und fasziniert. Dafür muss Kunst einerseits konkret für einen Ort konzipiert sein, mehr als nur formale Verbindungen schaffen, sich mit den Menschen und ihrer Nutzung, ihrem Interesse und Bedürfnissen auseinandersetzen; und andererseits den Menschen Angebote machen zur aktiven Aneignung eines Ortes, durch Kommunikationsstrukturen, aufgegriffene Themen oder neue Erzählungen.”

Anja Oswald

„Kunst muss raus aus den angestammten Territorien der selbstreferenziellen Selbstvergewisserung. Kunst muss wieder auf die Straße, zu den Menschen. Sie muss sich einmischen. In Zeiten des Klimawandels und anderen (globalen) ökologischen, gesellschaftlichen, politischen Katastrophen ist Kunst im besten Fall ein „Störfaktor“, der Sand ins Getriebe liebgewordener Denk- und Handlungsmuster streut. In diesem Sinne stellt „Dissonanzproduktion“ (Christine Würmell) ein zentrales ästhetisches Kriterium dar.”

Modul III – 30.10.2021

Lokal, global, international

Joanna Kiliszek

„Die Praxis der Kunst wirft uns aus unseren Denkgewohnheiten heraus, provoziert uns, Vorstellungen zu verwerfen, die wir bisher für selbstverständlich gehalten haben, und öffnet unseren Geist. Zum Anderen und zum Anderssein. In diesem Zusammenhang möchte ich auf drei Begriffe eingehen: Gastfreundschaft, Ohnmacht und reflektierte Praxis. Heutzutage sind Kants Gedanken über das friedliche Zusammenleben der Menschen, das kommende Weltbürgerrecht und die globale Gastfreundschaft von größter Bedeutung. Zeitgenössische zivilisatorische Herausforderungen wie Globalisierung, wachsende soziale Ungleichheiten, Konsumismus, Naturzerstörung, Klimawandel, Kriege, Überalterung der Bevölkerung, Automatisierung der Arbeit, Massenmigration, Neoliberalismus, Neokonservatismus und Populismus, die Notwendigkeit der Regulierung digitaler Plattformen und die damit einhergehende Ablehnung universeller Werte und des Gemeinschaftsgefühls, die Vermeidung von Verantwortung für die Zukunft und Pandemien erzeugen ein Gefühl der Ohnmacht. Die Umwandlung dieses Gefühls in Stärke kann durch die Methode der reflektierenden Praxis erfolgen, d. h. durch eine ständige und kritische Analyse der beruflichen und praktischen Erfahrungen, die zu einer breiteren Wissensbasis und einem höheren Niveau der Erkenntnis und des Verständnisses der gegenwärtigen Prozesse führt.”

Edwin Bendyk

„Die (zu Recht kritisierte) digitale Transformation hat etwas Wichtiges bewirkt: Sie hat den sozialen Raum neu gestaltet, indem sie uns aus der Dreidimensionalität herausgerissen und in einen so genannten hybriden, multidimensionalen Raum gebracht hat, in dem der soziale Raum vom Territorium losgelöst ist. Alles, was lokal ist, ist gleichzeitig Teil eines gemeinsamen Raums – es geht darum, Fäden zu verbinden. Was ist das Ergebnis davon? Alle Initiativen haben die Chance, eine Vielzahl von Ideen hervorzubringen, denn nur diese Vielfalt bietet die Chance, die richtigen Antworten zu finden, die das System verändern können. Es wird keine allgemeingültige Antwort geben (das hat schon Marx erkannt, die Revolutionäre und Bolschewiki wollten nicht auf ihn hören). Was wir brauchen, ist eine Vielfalt, lokale Singularitäten, die sich zu einer Art Republik zusammenschließen sollten, die durch die Summe dieser individuellen Entwicklungsquellen ein gemeinsames Projekt des sozialen Wandels schaffen wird. Wie das zu bewerkstelligen ist – ich weiß es nicht, aber wir haben in Polen die Erfahrung gemacht, dass bestimmte Dinge nicht vorhersehbar, aber dennoch möglich sind (Solidarność Bewegung).”

Paweł Wodziński

„Eines der Ziele der Warschauer Biennale ist es, transnationale Beziehungen zu schaffen, die auf globale Bedrohungen wie den Klimawandel, die Massenmigration, den unkontrollierten Einfluss der Finanzinstitutionen oder das Aufkommen von Nationalismus und Populismus reagieren können. Die Biennale schafft Programme und Projekte, Vereinbarungen und Allianzen für eine „andere Politik“ nicht nur mit Kultureinrichtungen oder Künstlern, sondern bezieht auch Forschungs- und Aktivistenkreise und vor allem Gemeinschaften ein, die die Auswirkungen des globalen Wandels unmittelbar erleben.”

Matthias Einhoff

„Ich arbeite an der Schnittstelle von Kunst und Gesellschaft. (…) Ich bin als Künstler an der Kunsthochschule ausgebildet worden in Berlin und habe mich dann entschlossen mit meinen Kollegen zusammen ein Haus zu gründen – das Zentrum für Kunst und Urbanistik. (..) ZK/U versucht – und das ist immer unsere zentrale These – globale Diskurse zu verbinden mit einer lokalen Praxis. Wir haben im ZK/U – in einem ehemaligen Güterbahnhof im Zentrum von Berlin, den wir seit 2012 betreiben – 700 Künstlern gehabt aus aller Welt. Mit denen regelmäßig – einmal im Monat machen wir eine Ausstellung, d.h. in diesen 10 Jahren haben wir mit diesen Künstlern 100 Ausstellungen organisiert. Wir haben relativ bald festgestellt, dass es eine große Homogenität der Haltung innerhalb dieser Künstlern gibt, obwohl sie aus aller Welt kommen. (…) Eine unsere große Herausforderungen ist wie können wir diesen Bubble etwas entgegenhalten und das ist die lokale Praxis, die ist dort gibt in Umfeld. Diese lokale Praxis ist von Menschen geprägt, die in der ersten und zweiten Migrationshintergrund in dieser Stadtteil gekommen sind und sich mit ganz anderen Problemen auseinandersetzen wie soziale, ökonomische Fragen, Fragen der Integration, Teilhabe. Wir versuchen an diesem Haus Formate herzustellen, die dieser – einerseits – globale Diskurse, die teilweise schwer zugänglich sind mit einer praktisch orientierten Gesellschaft zusammenzubringen.”

Monika Stefanek

„Die Änderung des Systems ist ein komplexer Prozess, aber vor allem in der gegenwärtigen Situation unumgänglich. Daher ist es die Aufgabe der Kunst, den Dialog und das Engagement für die Umwelt zu fördern. Alle Veränderungen sollten unter dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit vorgenommen werden. Ein positiver Effekt des Austauschs zwischen Künstlern und Kuratoren ist das Bewusstsein, dass es unabhängig von Ort und Herkunft dieselben Probleme gibt. Dies wird durch eine reflexive Praxis gefördert, d. h. aus Erfahrungen zu lernen, sie aber auch zu reflektieren und regulär zu überprüfen (Joanna Kiliszek).
Das vorhandene soziale Bewusstsein sollte genutzt werden, um ein politisches Bewusstsein zu schaffen. Eine der Ideen, die sich bei der Auswertung des Nowa Amerika Kongress herauskristallisierte, ist die Fortsetzung der Aktivitäten der Teilnehmer auf internationaler Ebene, insbesondere im Bereich der nachhaltigen Entwicklung. Zu diesem Zweck ist es notwendig, eine Kontaktbasis zu schaffen und weitere Treffen, sowohl virtuell als auch persönlich, zu organisieren. Eine Studienreise, ein gemeinsames Projekt z.B. an einem der auf dem Kongress vorgestellten Orte – das sind konkrete Ideen, um die Gruppe aktiv zu halten und ihre Mitglieder einzubinden. Es scheint auch wichtig zu sein, eine Vision zu formulieren, die als Ausgangspunkt für die Tätigkeit der Gruppe verstanden wird. Die Treffen der Gruppe sollten für alle, auch solche mit anderen Ansichten, offen bleiben und dem Austausch von Ideen und Erfahrungen sowie der gegenseitigen Unterstützung dienen.“

Live-Übertragungen vom gesamten Kongress: 29.10.2021

Gesellschaft der Künstler

30.10.2021 – Nachhaltige Entwicklung und Ästhetik

Lokal, global, international

Konzert Roksana Wikaluk&Wolfram Spyra: