Wanderführer um die weisse zone

„Weisse zone“

Versuch einer Definition der weissen zone

„Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand. Er gehört noch zum Etwas, sieht aber beständig in das Nichts, eine Grenzwache der Materie.“ Kurt Tucholsky, aus seinem Essay „Zur soziologischen Psychologie der Löcher“

Eigentlich können wir die weisse zone nicht definieren, denn sie wird sich einer abschließenden Bestimmung immer entziehen. Das Nichts lässt sich mit dem menschlichen Verstand wohl nicht begreifen

Mit Zonen bezeichnen wir Bereiche, denen jeweils eine bestimmte Qualität zugeordnet wird. Da ihre Grenzen meist nicht genau abzustecken sind, werden solche Gebiete – vor allem, wenn es sich um Gefahrenzonen handelt – meist weiträumig abgesperrt, bzw. begrenzt.

Die weisse zone ist also ein Gebiet, dem die Farbe weiss zugeordnet wird. Es wurde weiträumig mit weißen Schildern gekennzeichnet, um sicherzustellen, dass möglichst niemand unfreiwillig in das Weiss der Zone gerät. Die Farbe Weiss ist hier sicher im übertragenen Sinne zu verstehen. Weiss ist die Unschuld, die Jungfräulichkeit, das Unbekannte, das Geistige, weiß sind die Gebiete unserer Landkarten, die wir nicht kennen. Mit weiß können wir auch die letzten Fragen bezeichnen, nach dem Sinn des Lebens, nach Geburt und Tod. Alles deutet in diese Richtung, zumal in dem Begriff weisse zone das weiss mit doppeltem „s“ statt mit „ß“ geschrieben wird. Das ist zwar orthographisch falsch, könnte aber hier bewusst auf „wissen“ verweisen. Schon Sokrates hat den Charakter der weissen zone verstanden: „Ich weiss, dass ich nichts weiss“.

Handelt es sich also um ein Gebiet, das unsere letzten Fragen beantwortet? Das schaffen auch die großen Weltreligionen nicht, die ja teilweise sogar als Vorwand für militärische Auseinandersetzungen dienen. Unter diesem Aspekt ist es nicht verwunderlich, dass sich die Bundeswehr gerade die weisse zone als Bombenabwurfplatz gewählt hatte – vielleicht in dem Irrglauben, für immer alle existentiellen Fragen auslöschen zu können.

Womit wir am Kernpunkt angelangt sind. Vermutlich geht es bei der weissen zone nicht um ein Gebiet, das Antworten gibt, sondern Fragen stellt. Selbst die Wissenschaft muss sich diesem Phänomen täglich stellen: Je mehr wir zu wissen glauben, desto größer wird die weisse zone. Eine wissenschaftliche Errungenschaft wirft sofort neue Fragen auf, nach deren Antworten so lange gesucht wird, bis die alte Errungenschaft von einer neuen abgelöst wird, die wiederum neue Fragen provoziert. Neutral betrachtet ist das die Grundcharakteristik der weissen zone, mit der wir lernen können, umzugehen.

Dabei stellt sich die Frage, ob unsere über Jahrhunderte gebildeten Grundannahmen über den menschlichen Charakter überhaupt noch stimmen. Zwei Pole stimulieren oder hemmen sich gegenseitig: einerseits die menschliche Neugier und der Wissensdurst, andererseits der Wunsch, sich sicher zu fühlen. Wenn man zu sehr dem Wunsch nach Sicherheit folgt, kann das zur Einengung von Freiheit führen, zu Überregulierung. Oder zu Religionen und Ideologien, zu Glaubenssätzen, an denen wir uns festhalten. Zum Glück gibt es auch die Neugierde, die Bestrebungen, alles in Frage zu stellen, auseinander zu nehmen und anders wieder zusammen zu fügen. Zwischen beiden Polen bewegen wir uns. Das erklärt möglicherweise die Unruhe, die uns befällt, wenn wir etwas nicht verstehen oder näher bestimmen können. Die weisse zone bietet die einmalige Möglichkeit, unsere Annahmen umzukehren. Der Mensch braucht die Krise, sie ist sein Lebenselixier. Ohne Probleme wäre das Leben langweilig. Natürlich bildet sich dann der Wunsch, sie zu bewältigen, aber nur mit dem Ziel, sofort eine neue Krise zu produzieren. Krise entsteht nur, wenn wir entweder die richtigen Fragen stellen oder aber unsere Lebensbedingungen derart verändern, dass die alten Denkmuster nicht mehr funktionieren.

sternstunde das weiße, vom zirpen der grillen gefährlich verstärkt, setzt frei jenes heiße verlangen nach dem im geiste empfundenen raum aus musik.

weisse zone die ahnung ist sonde der seele in das mysterium. nase des herzens, die das weisse der zone durchforscht. gestern – ist das verwelkte, das gefühl und die grabstatt des wissens. nichts – stört den rhythmus des atmens und gestern wird morgen wird heute – ist gehen entlang weißer schilder um‘s nichts.

am rand der zone er setzte sich an den rand der zone. es war ein ozean des schweigens, eines weissen schweigens. im gleißenden weiß ohne grenze entglitt seine phantasie und schritt auf stummem teppich aus taubengefieder. er sah, ganz ohne zweifel, wie die uhr, in ihr gehäuse eingesperrt, ihn ansah. welch reine und große wunde hinterließ im weiß ohne grenze seine entglittene phantasie! im glänzenden weiß ohne grenze

Auszug aus dem wanderführer um das nichts:

„In sieben tagen ums nicht“

Generell besteht das Ziel einer geführten Wanderung darin, vor allem Gästen aus der Fremde das Besondere und Charakteristische einer Region zu vermitteln, bzw. sie sicher durch Gefahren hindurch zu leiten. Die weisse zone liegt etwa 100 Kilometer nördlich von Berlin zwischen den Städten Neuruppin und Wittstock, in der Nähe der Autobahnstrecke Berlin-Hamburg. Eine Gesamtfläche von etwa 140 Quadratkilometern wurde aus der Landkarte entfernt und darf von Menschen nicht mehr betreten werden. Warum das so ist und warum es besonders spannend ist, die weisse zone zu umwandern, erfahren Sie am besten auf einer geführten Wanderung. Die weisse zone ist weltweit einzigartig. Sie ist ein aus der Landkarte ausgeschnittenes Gebiet, das somit jenseits unseres Horizontes liegt. Wir dürfen nicht hinein gehen, zumal dort Nichts ist, aber wir können darum herum wandern, um das Nichts. Sich am Rande des Nichts aufzuhalten, ist nicht ungefährlich. Daher empfiehlt es sich, die Erfahrungen unserer Zoneführer:innen in Anspruch zu nehmen. Mit der Führung werden Sie außerdem in die Geheimnisse der weissen zone eingeführt. Die Begegnung mit der weissen zone kann ein hervorragender Ausgangspunkt sein, um innere und äußere Landkarten zu überprüfen, zu hinterfragen und zur Deckung zu bringen. Für die Buchung einer geführten Wanderung gibt es mehrere Möglichkeiten: Sie können sich in 7 Tagen um die zone führen lassen. Wir organisieren alles für Sie, von der Unterbringung über die Verpflegung bis zum Ablauf. Sie sagen uns ihre Wünsche und wir stellen uns darauf ein. Übernachtung im Zelt oder in Pensionen, Slowfood oder Fastfood, Bio- oder Überlebenspackungen für Zonewanderer, Sie entscheiden. Die einzelnen buchbaren Module können individuell für jede Teilnehmergruppe im Vorfeld abgestimmt werden.

‚Keiner weiss,  was passiert‘

Sie können dort nicht hinein in die „weisse zone“. Keiner weiß, was passiert, wenn sie sich in das Nichts hinein begeben. Sie können aber in sieben Etappen um die weisse zone herum wandern, indem Sie den weissen Wegweisern folgen. Dabei können Sie die touristischen Angebote des Zonenrandgebietes in Anspruch nehmen. Das Wandern um das Nichts ist gefährlich. Manchmal wissen Sie nicht mehr, ob Sie draußen sind oder drinnen. Besonders gefährlich ist das plötzliche Entstehen paralleler Realitäten. Wenn Sie als Gruppe wandern, sollten Sie sich beim Auftreten dieses Phänomens zusammen setzen und sich darüber einigen, welche Realität sie gemeinsam wählen, denn ansonsten droht die Gruppe in verschiedenen Wirklichkeiten zu verschwinden und Sie sehen sich möglicherweise nie wieder! Sie können auch einen Forschungsaufenthalt im Institut für weisse zone Forschung buchen und sich dort intensiv auf Nichts vorbereiten. Das Institut befindet sich am Zonenrand und beherbergt unter anderem eine Bibliothek, die sich mit Nichts beschäftigt. Dort finden Sie unter anderem die Abhandlung von Kurt Tucholsky „Zur soziologischen Psychologie der Löcher“. Anlass für diese Wirklichkeitskonstruktion war der politische Streit um eines der größten militärischen Sperrgebiete in Deutschland. Nachdem nach der politischen Wende 1990 die sowjetische Armee 1993 dieses Gebiet verlassen hatte, wollte die Bundesrepublik das Gelände erneut zu einem Testgebiet für Bombenabwürfe im Rahmen der NATO machen, aber die lokale Bevölkerung wehrte sich mit ihrer Initiative „Freie Heide“ gegen das sogenannte „Bombodrom“. Ich fragte mich, ob es wohl möglich sei, ein so großes Gebiet einfach jeglicher menschlicher Infrastruktur zu entziehen.

IWF – Ort für Information, Vernetzung, Partizipation und Entwicklungsprozesse

Das erste Institut, dessen ausschließliche Aufgabe darin besteht, Nichts zu erforschen, Nichts zu schaffen und das Nichts zu befragen. Sein Ziel ist das Anwachsen der weissen zone. Es gibt ein Museum, ein Archiv, eine Bibliothek und Unterkünfte für Leute, die einen stillen Ort suchen, um Nichts zu entdecken. Die Aufgabe des Institutes für weisse zone Forschung besteht vor allem in einer besonderen Art des Krisenmanagements. Krisen bergen enorme Kreativitätspotenziale, die Motor für die Entwicklung überraschend neuer Blickwinkel sein können. Während andere versuchen, Krisen zu vermeiden, sehen wir unsere Aufgabe darin, Krisen aufzuspüren und zu thematisieren. Das weisse zone Forschungszentrum Der am Zonenrand in Zempow gelegene Bauernhof des Vereins Umland e.V. kann zu einem dauerhaften festen Standort für die weisse zone Forschung ausgebaut werden. Neben einer Bibliothek mit weisse zone Literatur, dem weisse zone Museum mit exemplarischen Fundstücken vom Zonenrand, einer Anlaufstelle für Rat suchende Zonewanderer, Übernachtungsmöglichkeiten, Labors für Zoneforscher und Seminarräumen für Student:innen der weisse zone Forschung wird auch ein etwa 2 Hektar großes Versuchsgelände für Zonenrandbotanik genutzt. Das weisse zone Forschungszentrum kann so zu einem Ort des Austauschs, der Vernetzung und der Grenzüberschreitung traditioneller Kategorien, wie Kunst, Wissenschaft, Religion, Philosophie und Wirtschaft werden. Ziel ist es auch, gesellschaftsfähige Krisenmodelle zu entwickeln, die die Bedeutung der weissen zone in den Mittelpunkt stellen. So sollen alle gesellschaftlichen Bereiche überprüft werden, ob sie weissezonefähig sind. Das betrifft insbesondere die Wirtschaft, das Bildungswesen, das gesamte Sozialwesen, das Rechtswesen und die Religion. Dies kann jedoch nur dadurch erreicht werden, dass vor allem Zonenrandbewohner mit ihren Erfahrungen und praktischen Ideen aktiv in die Entwicklung neuer Modelle einbezogen werden. Nur so kann eine Vernetzung entstehen, die eine echte Verbindung zwischen Forschung und Praxis ermöglicht.

iwf – Ort für Information, Vernetzung, Partizipation und Entwicklungsprozesse

Das Konzept des iwf bietet einen weiten Handlungsrahmen, der es vielen unterschiedlichen Akteuren erlaubt, sich aktiv einzubringen. Dafür wird eine der Sozialen Plastik entsprechende amöbenartige Struktur angestrebt, um sowohl mit plötzlich auftauchenden neuen Ideen und Krisen umgehen zu können.

Zonebüro

Das weisse zone Informationszentrum ist Anlaufstelle für Zonetouristen und Forscher. Es informiert über alle bisher bekannten Aspekte der weissen zone und hilft beim Entdecken neuer Fragen an die weisse zone. 

iwf Konzept (unvollendet):

weisse zone Forschung ist per se eine Krise. die Fragen der weissen zone ziehen uns den Teppich unter den Füßen weg – und das ist vielleicht das primäre Ziel der weissen zone Forschung.

Biwak-Laboratorien am Zonenrand

Seit September 2006 gibt es den Wanderführer um die weisse zone. In neun Etappen kann um das Nichts gewandert werden. Die persönlichen Erfahrungen am Zonenrand ergänzt der Wanderführer durch philosophische Beiträge, Gedichte und Interviews mit Zonenrandbewohnern. Auf der Suche nach einer angemessenen Form für Prozesse der Zoneforschung hat das iwf nun einen Plan für neun mobile weisse zone Labore entwickelt. Sie können in ausrangierten Bauwagen und Wohnwagen eingerichtet werden. Jedes Labor beinhaltet eine Schlafgelegenheit für zwei Personen, eine einfache Kochecke mit den wichtigsten Grundnahrungsmitteln, eine kleine Zonenbibliothek, verschiedene Werkzeuge für Zoneforscher und einen kleinen Kaminofen. Die Labore können von Zonewanderern für eine Nacht genutzt werden, oder von Zoneforschern, die ihre Untersuchungen ungestört direkt am Zonenrand durchführen wollen, sowie von Asylsuchenden, die hier mit einer ersten Bleibe und der Unterstützung des iwf rechnen können.

Residency Program

Neben den neun Zonelaboratorien am Zonenrand befinden sich zwei Zentrallabore mit Wohneinheiten im Institut für weisse zone Forschung. Zoneforscher:innen können hier drei- bis sechsmonatige Stipendien nutzen, um neue Fragen zu entwickeln. Bewusst wird hier weder von Kunst, noch von Wissenschaft geredet, denn hier soll jeder, der zur weissen zone forscht, eine Chance bekommen.

Zonearchiv und Zonemuseum

Das weisse zone Archiv sammelt und katalogisiert Fundstücke vom Zonenrand, weisse zone Literatur und Film, weisse zone Kunst und Ergebnisse der weissen zone Forschung. Das weisse zone museum organisiert ständig wechselnde Ausstellungen und Veranstaltungen zur weissen zone.

Hochschule für angewandte Zoneforschung

Die Hochschule bildet Student:innen in der weissen zone Forschung aus. Zunächst finden die Schulungen in Form von zeitlich auf maximal zwei Wochen begrenzten Seminaren statt. Langfristig wird der Aufbau einer einzigartigen Hochschule mit 3-5 jährigen Studiengängen und einem anerkannten Diplom in weisse zone Forschung angestrebt. Besondere Schwerpunkte der Hochschule sind die Lehrgänge Wirklichkeitskonstruktion, angewandte Kunst, Konsenstraining sowie die Ausbildung von Zoneführer:innen um die weisse zone. Im Grundlehrgang sind Klettertraining und das Bilden von Seilschaften absolute Grundvoraussetzungen.

Weisse zone Bürgerforum

Das Bürgerforum begleitet und ergänzt den Vernetzungsprozess und die zwischenmenschliche Kommunikation. Die vom Zonebüro regelmäßig durchgeführten – und für jeden offenen – Treffen dienen dem Informationsaustausch und der Entwicklung gemeinsamer Projekte der Regionalentwicklung des Zonenrandgebietes.

Weisse zone Volksfeste und Volkswanderwochenenden um das Nichts

Zusammen zu feiern ist ein ganz wichtiges Element der weissen zone Regionalentwicklung und dient der Gestaltung von Identifikation der Zonenrandbewohnerinnen mit der weissen zone. Gleichzeitig sollen die Volkswanderwochenenden die touristische Regionalentwicklung fördern.

Die weisse zone die weisse zone
ist weltweit das erste gebiet, das es nicht mehr gibt…, Michael Kurzwelly, 2005