Stadtführer durch Słubfurt

Eine Stadt in zwei Ländern, die es nicht gibt

Michael Kurzwelly

Słubfurt

Słubfurt ist die erste Stadt, die je zur Hälfte in Polen und in Deutschland liegt. Sie wurde 1999 gegründet und 2000 in das RES (Register der Europäischen Städtenamen) eingetragen. Seitdem entwickelt sich diese Stadt prächtig. 2010 wurde sie zur Hauptstadt von Nowa Amerika. Ausgangspunkt für diese Wirklichkeitskonstruktion war die Identitätskrise der Menschen in den Nachbarstädten Frankfurt (Oder) und Słubice

Bis zum Ende der letzten Eiszeit zwischen Ost und West im Jahre 1990 war die Stadt geprägt von den Folgen des zweiten Weltkrieges. Die in Teheran, auf Jalta und in Potsdam beschlossene Ost-West-Verschiebung der polnischen Grenzen und der damit verbundene „Bevölkerungstransfer“ trennte auch die Frankfurter Dammvorstadt von Frankfurt (Oder) ab. Sie nannte sich von da an Słubice. Ehemals deutsche Gebiete wurden polnisch und ehemals polnische Gebiete gehörten nun zur Ukraine und Belarus. Die Ostpolen aus den sogenannten „Kresy“ mussten ihre Heimat verlassen und wurden größtenteils in den Gebieten angesiedelt, die bis dahin zu Deutschland gehörten. Auch Frankfurt (Oder) wurde im Rahmen der DDR-Planwirtschaft neu besiedelt, nachdem die Stadt in den letzten Kriegstagen von Hitler zur Festung erklärt wurde und die Zivilbevölkerung evakuiert worden war. In beiden Städten hatten wir es also mit einer Identitätskrise zu tun und die Menschen konnten sich mit ihren Wohnorten nicht identifizieren.

Geschlossene Grenzen

Nach einer anfänglichen Phase des vorsichtigen gegenseitigen Kennen Lernens wurden die Grenzen nach Polen aufgrund des Freiheitskampfes der Solidarność-Bewegung 1980 geschlossen und erst nach der politischen Wende 1990 wieder geöffnet. Für zehn Jahre war das andere Oderufer in unerreichbare Ferne gerückt, Frankfurt (Oder) und Słubice waren zwei Städte am Ende der Welt.

Erst nach der Wende konnten sich die Menschen beiderseits der Oder von neuem beschnuppern, jedoch Jahrzehnte am Rande der Welt hatten ihre Spuren hinterlassen. Obwohl Polen zu den Gewinnern des zweiten Weltkriegs gehörte, schrumpfte sein Territorium insgesamt durch die Ost-West-Verschiebung der Grenzen. Die kommunistische polnische Regierung der Nachkriegsjahre musste davon ablenken. So entstand die Doktrin der „Ziemia Odzyskana“, der wiedergewonnenen Erde, in der die Bevölkerung davon überzeugt werden sollte, dass die Gebiete im Westen, die ehemals zu Deutschland gehörten, eigentlich urpolnisch waren und nun nach langer Zeit endlich wieder zu Polen gehörten. Man berief sich auf die Piasten und so wurde z.B. aus dem Ort Bärwalde kurzerhand Mieszkowice, um dem großen Piastenfürsten Mieszko I zu huldigen.

Gleichzeitig wurde in diese Gebiete nicht investiert, denn man fürchtete, dass Deutschland sie sich wieder einverleiben könnte.

Erst der von Helmut Kohl und Tadeusz Mazowiecki in Krzyżowa/Kreisau unterzeichnete Friedensvertrag besiegelte die deutsch-polnische Grenze als unverrückbar. Bis zu diesem Zeitpunkt haben viele Menschen auf der polnischen Seite sozusagen auf „gepackten Koffern“ gesessen und immer damit gerechnet, diesen Ort wieder verlassen zu müssen. Frankfurt (Oder) und Słubice waren Flüchtlingsstädte und Kasernenstädte mit deutschem, sowjetischem und polnischem Militär, Frankfurt war mit 465 konspirativen Wohnungen eine von der Stasi am stärksten unterwanderten Städte.

Politische Wende

Nach der politischen Wende 1990 verschwanden nach und nach das Militär, die Stasi und die arbeitgebenden Betriebe aus der Stadt Frankfurt (Oder). Während Słubice zunächst mit einem aus dem Boden gestampften Basar von dem Kursgefälle zwischen D-Mark und Złoty profitierte, schrumpfte Frankfurt von fast 90.000 Einwohnern auf nunmehr knapp 58.000 Einwohner.

Während die DDR 1990 von Westdeutschland geschluckt wurde und somit von einem Tag auf den anderen Teil der Europäischen Union wurde, musste sich Polen aus eigener Kraft von der Zeit der sozialistisch-sowjetischen Vorherrschaft erholen. Die EU-Außengrenze lag nun zwischen Frankfurt (Oder) und Słubice, mit penetranten Kontrollen und manchmal stundenlangen Wartezeiten auch für Fußgänger. Aber Polen entwickelte sich in rasantem Tempo, wurde 2004 Mitglied der Europäischen Union und trat 2007 dem Schengener Abkommen bei. Schrittweise verschwanden so zunächst die Zollkontrollen und später auch die Grenzkontrollen – auf Kosten der sich nun verhärtenden Grenze in Ostpolen.

Ausradierte Grenze

Einige weitsichtige Bürger beider Städte erkannten bereits 1999 die große Chance, Frankfurt und Słubice eine neue Zukunft zu geben, die sowohl die Identitätskrise der Menschen beiderseits der Oder bewältigen würde, als auch den beiden Städten einen Aktionsradius von 360° zurückgeben würde.

Sie entwickelten den mutigen Plan, beide Städte zu einer neuen, gemeinsamen Stadt umzustrukturieren. Den Stadtvätern war klar, dass bei der Gestaltung der Stadt besonders die gemeinsame Zukunftsperspektive eine identitätsstiftende Kraft haben kann. Deshalb ist Słubfurt die erste Stadt weltweit, die sozusagen aus der Zukunft heraus in die Gegenwart hineinwächst und somit natürlich auch den Blick auf die Vergangenheit verändert. Auf einer gemeinsamen Stadtverordnetensitzung der beiden Parlamente von Frankfurt (Oder) und Słubice schlossen sich am 8. November 1999 die beiden Städte zur Stadt Słubfurt zusammen und schrieben somit Geschichte: Deutlich sichtbar setzt sich der Name der Stadt aus der ersten Silbe von Słubice und der zweiten Silbe von Frankfurt zusammen und weist gleichzeitig darauf hin, dass es sich nicht um die Übernahme einer Seite durch die andere handelt, sondern um eine gleichberechtigte Fusion.

Die beiden Stadtparlamente wurden zu Stadtteilparlamenten der beiden Stadtteile Slub und Furt, während ein neues, übergeordnetes Parlament, das sich aus Bürgern beider Stadtteile zusammensetzt, über die Belange von Słubfurt entscheidet. Der Erfolg dieses Schrittes war von durchschlagender Kraft. Słubfurt wurde auf einer außerordentlichen Sitzung des Europäischen Parlamentes in den Rang einer europäischen Modellstadt und dann am 28. November 2000 in das RES (Register der Europäischen Städtenamen) eingetragen.